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Hand in Hand zu barrierefreien öffentlichen Gebäuden

Herr Philippi, seit 18 Jahren beraten und schulen Sie als Architekt und Diplom-Ingenieur zum Thema Barrierefreiheit in Gebäuden. Bei einem so langen Zeitraum dürfte man annehmen, dass alle Bau-Verantwortlichen für öffentlich zugängliche Gebäude umfassend informiert sein müssten. Warum bedarf es weiterhin so viel Beratung?

Martin Philippi: Das Thema Barrierefreiheit hat sich in der Tat von einem Randthema zu einem Begriff entwickelt, von dem die meisten Menschen nun eine konkrete Vorstellung haben. Trotzdem mangelt es heute noch am nötigen Bewusstsein. Viele Verantwortliche nehmen Barrierefreiheit als zusätzliche Anforderung wahr, die einen Mehraufwand mit sich bringt. Wir müssen dahin kommen, dass Barrierefreiheit zu einer Selbstverständlichkeit beim Bauen wird.

Foto von Martin Philippi

Was sind die häufigsten Herausforderungen, denen Sie bei Ihrer täglichen Arbeit begegnen?

Martin Philippi: Wir haben heute, anders als vor 18 Jahren, verbindliche Regelungen zur Barrierefreiheit. Trotzdem besteht eine große Unsicherheit bei der Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen. Die meisten Fragen, die wir bekommen, sind: Was muss zwingend, nach gesetzlichen Bestimmungen, umgesetzt werden und wo steht das? Welche Maßnahmen wären im Sinne einer umfassenden Barrierefreiheit darüber hinaus noch sinnvoll? Wie setzt man das in die Praxis um? Und, gibt es gute Umsetzungsbeispiele und Fördermittel?

Welche Schritte müssten aus Ihrer Sicht noch unternommen werden, damit öffentlich zugängliche Gebäuden universell barrierefrei sind?

Martin Philippi: Wir brauchen natürlich erfahrene Planerinnen und Planer sowie fachkompetente Genehmigungsbehörden. Darüber hinaus erachte ich eine stärkere Beteiligung von Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen bei Bauvorhaben der öffentlichen Hand für sinnvoll. Denn ich stelle fest, dass gute Beispiele immer dort entstehen, wo gut informierte Personen sich für das Projekt einsetzen. Daher bieten wir regelmäßig Seminare für Behindertenbeauftragte, Behindertenbeiräte und Verbandsmitglieder an, um zukünftig noch mehr gute Beispiele zu erhalten, an denen sich andere orientieren können. Ein besonders gutes Gebäude-Beispiel für Barrierefreiheit, die Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen, wurde im letzten Jahr mit dem „Signet NRW inklusiv“ ausgezeichnet.

Sie sind auch beratendes Mitglied im VDI-Richtlinien-Ausschuss. Welche wegweisenden Neuerungen werden demnächst hinsichtlich der Barrierefreiheit empfohlen?

Martin Philippi: Wir arbeiten derzeit mit 15 Experten an der VDI-Richtlinie 6008 Blatt 7 zum Thema „Barrierefreie Lebensräume und Brandschutz“. Eine selbstständige Rettung im Brandfall war bisher für Menschen mit Behinderungen oft unmöglich. Wir arbeiten an Lösungen, damit alle Menschen, auch Personen im Rollstuhl, sich selbstständig retten können, beispielsweise mit einem Aufzug, der im Brandfall weiterbetrieben werden darf, und hoffen, diese Richtlinie im nächsten Jahr zu verabschieden.

Was finden Sie an Ihrer Arbeit nach wie vor interessant?

Martin Philippi: Als Architekt interessiert mich die Frage, wie man eine für alle Menschen barrierefreie Umwelt schafft. Wie lässt sich ein gesellschaftliches Ziel wie Inklusion bei konkreten Baumaßnahmen umsetzen? Wer sind die wichtigsten Akteure bei der Umsetzung und wer redet außerdem noch dabei mit? Ich bin der Überzeugung, dass die Beteiligung der Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen zu mehr Barrierefreiheit führt. Und ich freue mich, wenn ich dazu beitragen kann, dass Gebäude entstehen, die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.

Was wünschen Sie sich für die nächsten 20 Jahre in Bezug auf die bauliche Barrierefreiheit?

Martin Philippi: Ich wünsche mir natürlich, dass die Welt in 20 Jahren deutlich barrierefreier aussehen wird als heute. Doch ich habe die Sorge, dass das Thema Barrierefreiheit in der derzeitigen Situation wie andere Themen, die gesellschaftliche Randgruppen betreffen, stärker marginalisiert wird. Ich sehe die Gefahr, dass die Barrierefreiheit mit den durchaus nachvollziehbaren Argumenten der Kosteneinsparung und der Beschleunigung von Bauvorhaben auf ein Mindestmaß zurückgestutzt werden könnte. Das würde dem Ziel, Teilhabe für alle Menschen, aber widersprechen.

 

-- aus unserem Newsletter Oktober 2023 --

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